Teil-Akademisierung

Teilakademisierung - Worum geht es?

Einige Akteure fordern die Vollakademisierung der Therapieberufe und ein Auslaufen berufsfachschulischer Ausbildungen nach einer Übergangsfrist. Ihrer Ansicht nach soll die Ausbildung in therapeutischen Gesundheitsberufen langfristig ausschließlich akademisch erfolgen.

Dies lehnen wir ab und vertreten ein Modell der Teilakademisierung, bei dem auf der berufsfachschulischen Ausbildung aufbauend optionale fachhochschulische Studiengänge im Anschluss zur Weiterqualfiizierung - ggf. mit ersten Berufserfahrungen - absolviert werden. 

Auch wir sehen grundsätzlich die Notwendigkeit eines bestimmten Anteils fachhochschulischer Studiengänge zur Weiterentwicklung des Berufsfelds, z. B. für Leitungs- und Führungsaufgaben oder Lehrkräfte. Wir plädieren für ein Modell der Teilakademisierung, bei dem auf der berufsfachschulischen Ausbildung aufbauend optional fachhochschulische Studiengänge besucht werden können. Zur Attraktivitäts- und Qualitätssteigerung müssen berufliche und akademische Bildung dabei von vornherein als Stufenmodell gestaltet werden, wenn dies ein durchdachtes System der Durchlässigkeit zwischen berufsfachschulischer und akademischer Qualifikation beinhaltet

Zwei Studentinnen Physiotherapie

© Präha Akademie

Argumente und Ansatzpunkte für die Teilakademisierung

Unmittelbarer Zugang in die Berufsausbildung

Selbst wenn es unbegrenzt Studienplätze für alle Studienberechtigten gäbe, würde durch ein Modell der Vollakademisierung der Fachkräftemangel in therapeutischen Berufen weiter ansteigen. Denn durch die Vollakademisierung werden junge Menschen ohne (Fach-)Hochschulzugangsberechtigung vom Zugang in die Ausbildung ausgeschlossen. Wie unsere bundesweite Trägerumfrage zeigt, treten ca. 60% der Schüler*innen in Gesundheitsfachberufen mit der mittleren Reife in die Berufsfachschulen ein. Diese Menschen würden durch die Vollakademisierung nicht nur berufliche Perspektiven verlieren, sondern dem Gesundheitssystem auch zahlreich als zukünftige Therapie-Profis fehlen. Die flächendeckende Gesundheitsversorgung in Deutschland wäre dadurch gefährdet, insbesondere im ländlichen Raum. Die formalen Bedingungen zur Aufnahme einer Ausbildung dürfen daher nicht angehoben werden, sondern müssen bei der mittleren Reife verbleiben.

Bestand der Schulen für Menschen mit Sehbehinderung

Insbesondere die Berufsfelder der Physiotherapie und der Masseur*innen sind attraktiv für Menschen mit Sehbehinderung. Hierzu werden Berufsfachschulen benötigt. Wir plädieren daher für den Erhalt der Ausbildungsmöglichkeit für diese Zielgruppe.

Berufsfachschulische Ausbildung hat sich bewährt

Die berufsfachschulische Ausbildung in den Gesundheitsfachberufen hat sich bewährt und ist zur Sicherung zukünftiger Gesundheitsversorgung geeignet. Faktoren sind hierfür auch die breiteren Zugangsbedingungen, die Ausbildungsstruktur mit hohem Praxisanteil, die Ausbildungsorganisation sowie das Potential zur Modernisierung und Weiterentwicklung der Ausbildungen. Durch eine Kombination berufsfachschulischer und akademischer Ausbildungswege wird der berufspraktische und akademische Bedarf in Gesundheitsfachberufen gedeckt.

Inwieweit eine Überführung des Ausbildungsmodells in die Vollakademisierung zu mehr Qualität und Attraktivität führt, bleibt eine Vermutung und kann weder wissenschaftlich noch aus Beispielen anderer Berufsfelder praktisch belegt werden. 

Fachausbildungen haben höhere Erfolgsaussichten

Einige Schulabsolvent*innen besuchen schon heute nach der Berufsfachschulausbildung eine Hochschule. Über 90 % von ihnen erreichen sicher ihr Ziel: den Hochschulabschluss. Sie decken aktuell den Bedarf an Hochschulabsolvierenden.
Hochschulausbildungen in sogenannter Primärausbildung mit Zugang unmittelbar nach dem Abitur, wie sie der vollakademische Weg vorsieht, haben eine schlechtere Erfolgsbilanz. Ca. 50 % dieser Studienanfänger*innen gelingt es nicht, einen Abschluss im gewählten Fach zu erreichen. Dies ist ein zu hoher Anteil, um die flächendeckende Gesundheitsversorgung in Deutschland zukünftig sicherstellen zu können.

Geringer Bedarf an akademischer Ausbildung in der Berufspraxis

Verbandsinterne Erhebungen haben gezeigt, dass die überwiegende Mehrheit der Absolvent*innen therapeutischer Fachausbildungen mit einer hohen Zufriedenheit in die praktische Tätigkeit geht und keinen unmittelbaren Mehrwert in einer hochschulischen Ausbildung sieht. Denn in Gesundheitsfachberufen ist der Anteil der wissenschaftlichen Tätigkeit in der täglichen Arbeit mit den Patient*innen gering und eine akademische Ausbildung dafür nicht erforderlich. Der niedrige Bedarf an akademischer Ausbildung für die Gesundheitsfachberufe wird durch das Modell der Teilakademisierung optimal gedeckt. Die berufsfachschulische Ausbildung muss der Regelfall bleiben.

Geringerer Praxisanteil bei Vollakademisierung

Eine der großen Stärken der berufsfachschulischen Ausbildung ist ihre hohe Praxisnähe bei zugleich umfangreichen theoretischen Anteilen. Absolvent*innen der Gesundheitsschulen sind dadurch bestens auf die Berufstätigkeit vorbereitet und können nach ihrem Abschluss zeitnah in den therapeutischen Berufsalltag einsteigen.
Die hochschulische Berufsausbildung bei Vollakademisierung kann diesen starken Praxisbezug nicht realisieren. Während es einerseits keinen Nachweis gibt, dass theoretisches Wissen an einer Hochschule besser vermittelt wird als im schulischen Kontext, ist andererseits sicher, dass die enge praktische Verzahnung dort auf der Strecke bleibt. Studienabsolvent*innen müssten wertvolle Praxiserfahrungen dadurch oftmals nach dem Studium nachholen, bevor sie für den Berufsalltag gerüstet sind. Dies wäre sowohl persönlich als auch strukturell für die Versorgung mit Therapie-Profis ein Nachteil.
Die hochschulische Ausbildung eignet sich daher vor allem als optionaler Anschluss an die Ausbildung an Berufsfachschulen im Sinne des Modells der Teilakademisierung.

Chancen und Perspektiven der Teilakademisierung

Spezifische Chancen der Teilakademisierung als Stufenmodell liegen darin, dass die berufsfachschulische Ausbildung jenen Auszubildenden die Basis für ein Studium bieten kann, die aufgrund ihres Schulabschlusses bislang zunächst kein Studium aufnehmen können. Hierbei ist darauf zu achten, Durchlässigkeit zwischen berufsfachlicher und akademischer Qualifikation zu ermöglichen. Neben dem Zugang der Absolvierenden der Berufsfachschulen zu den Fachhochschulen umfasst dies z. B., dass in die Ausbildung auch Inhalte aufgenommen werden, die sich in einem späteren Studium anrechnen lassen. Indem mehr ECTS-Punkte in der beruflichen Ausbildung erworben werden können, wird auch die Ausbildungsattraktivität erhöht.

Akademisierung ist wichtig – in Maßen

Einen Verzicht auf jegliche Form der Akademisierung lehnen wir ab. Trotz unserer Einwände gegen die Vollakademisierung enthält eine Teilakademisierung wichtige Potenziale für das Berufsfeld der therapeutischen Gesundheitsberufe. Denn sie kann dazu beitragen, den Bedarf an Bereichsleitungs- und Leitungskräften in Kliniken und Praxen, in der Forschung und in der Lehre zu decken. Wir sprechen uns daher für eine Reform aus, bei der das bestehende Angebot des bewährten berufsfachschulischen Ausbildungssystems weiterentwickelt wird und ergänzend primärqualifizierende oder ausbildungs- bzw. berufsbegleitende Studiengänge existieren. Das Pflegeberufe-Reformgesetz kann hierfür als Vorbild dienen. Eine Anrechenbarkeit berufsfachschulischer Leistungen auf ein Aufbaustudium erhöht dabei signifikant sowohl die Attraktivität der Ausbildung als auch eines darauf aufbauenden Studiums.

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